Sonntag, 4. Oktober 2015

"Herztage" 9/ 2015 VI



17.09.2015

Heute ist mal wieder ein Mick-Flannery-Tag. Sein Konzert findet im Rahmen des ¨Clifden Arts Festivals¨ statt und - natürlich - sind wir gespannt und voller Vorfreude! Schön ist, dass Astrid ihren für das Wochenende angekündigten Besuch um einen Tag verlängern konnte, so dass wir diesmal zu dritt sein werden!  Scheint, als gelänge es uns, den ¨Mick-Flannery-Virus¨ gut zu verbreiten!!!

Aber erst einmal wieder ein Blick zurück auf die letzten Tage, die ebenfalls ihre Höhepunkte hatten. Zunächst das Wetter:  Es scheint, als würden wir die Wetterkatastrophen unbedingt erleben müssen/wollen:  Irland wurde von einem 2-tägigen Regen heimgesucht, der offenbar seinesgleichen in den letzten überschaubaren Jahren suchte. Martin, der Glaser, der gestern hier war,meinte auf alle Fälle, er habe solch einen Regen noch nie erlebt: In Clifen trat der Fluß über die Ufer und wurde zu einem reissenden Strom.. Es sah wirklich beängstigend aus, dort von der Brücke in dieses wütende Wasser zu schauen..  Ein Mann verlor offenbar fünf seiner Jagdhunde, die den Fluten zum Opfer fielen. Zum Glück sind keine Menschen verletzt worden! 

Hier erinnerten die Fluten, die sich über das Haus und den Garten ergossen, ein wenig an Weihnachten 2013/1014, als uns die Stürme und die große Flut hier überraschten.
Die Wiesen sind alle überflutet und teilweise mußten Straßen gesperrt werden.  Wir konnten uns ja ein Bild von den Überflutungen auf dem Weg nach Galway machen.
Schäden haben wir ledlich im Schuppen, der allerdings unter Wasser stand.  John, unser Dachdecker, scheint keine Lust mehr zu haben, erneut zu versuchen, dass Wellblechdach dicht zu bekommen und hat uns nun ein ¨richtiges Dach¨ empfohlen. Gut, dass Fechin auch vorbeischaute (an Krücken, der Ärmste!)  und darauf verwies, das der Regen nicht nur vom Dach, sondern durch die Felswände kam!  Hier sind nur die Feldsteine und kein Verputz zur Wetterseite - also wäre ein ¨richtiges Dach¨ auch nur eine begrenzte Lösung.  Er sucht nun nach jemandem, der einen neuen Versuch auf dem alten Dach starten soll.. 
Es war schön, Fechine zu sehen.  Er ist alt geworden, lebt inzwischen in Renvyle, ¨backt kleine Brötchen¨ und meint, er sei mit seiem Leben, seinen Kindern und Enkelkindern und dem einfachen Cottage am Strand zufrieden.  ¨...Isn't this what life is all about?¨  Er singt in den Pubs und damit wird er auch etwas Geld verdienen.  Jedenfalls wird er uns bei den anstehenden Projekten (eine bessere Heizung im Bad) unterstützen und uns entsprechende Handwerker schicken. 
Nun aber zum eigentlichen Höhepunkt der letzten Tage:  Wer meinen blog 2014 gelesen hat, erinnert sich an Aäron!  Aäron nahmen wir auf dem Weg nach Carna  als Tramper mit und  verbrachten mit ihm einen wirklich schönen Nachmittag am Korallenstrand von Carraroe, dem Strand, der nur aus Muschel- und Korallenstücken besteht.

Nachdem großen Regen, an dem wir das Haus gar nicht verlassen haben und froh über unsere Vorräte waren,  wurde es Zeit für Clifden!  Es ist schön, unter Menschen zu sehen, selbst die Einkäufe hier machen viel mehr Spaß als zu Hause in Berlin :) ¨upstairs downstairs¨ oder ¨Steam¨ sind unsere Anlaufstellen für das Internet und immer schauen wir in die Nachrichten.... besorgt,berührt, bewegt... Nichts wird wieder sein, wie es war - und vielleicht ist das gut so.

Auf der Rückfahrt steht in Ballyconneely jemand trampend am Straßenrand und wir halten - und ich erkenne ihn sofort:   ¨Aäron! Oh myGod, what are you doing here¨  ¨Gabriele"? Oh no, this cannot be true!¨  und wir umarmen uns freudig- und laden seinen großen Rucksack ein - und können es nicht glauben!  Aäron ist seit 2 Wochen in Irland, besucht Freunde  in Dublin und Galway - und hatte sich vorgenommen, zumindest 1-2 Nächte in Connemara alleine zu campen - wie beim letzten Mal, wo er eine ganze Woche alleine ¨ im bog¨  war!  Die Überschwemmungen und vor allem der reißende Fluß in Clifden hatten ihn - nachdem er aus Letterfrack kam - doch geängstigt und er wollte seine Connemara-Tour abbrechen.
Was wir tun konnten, war, ihn zu uns einzuladen, ihm zumindest eine trockene Nacht im School House zu bereiten und  er war so voller Freude, Dankbarkeit, Begeisterung und Euphorie, dass sie ansteckte!  Wir Drei glauben nicht an einen Zufall!  ¨ ... For some reason it had to happen¨.... Und er erzählte uns später am Torffeuer, dass er (ganz klammheimlich) sich gewünscht hatte, dass wir vorbeikommen könnten... Er wußte, dass wir um diese Zeit da sein würden..  und dieser Zauber begleitete unsere gemeinsamen Stunden.. Wir gehen gemeinsam zum Pier um nachzusehen, ob die Robben auf den Felsen liegen. Es ist eine wunderbare Stimmung über dem Meer .... 



Die Tatsache, dass Aäron erst 20 ist, spielte bei unserer Begegnung, wie schon im letzten Jahr, überhaupt keine Rolle. Wir haben so viele gemeinsame Themen: Irland, die Musik, die Mystik dieses Landes...  da geht der Gesprächsstoff nicht aus..und es wurde weitaus später als sonst :) 


Nach dem Frühstück spielte uns Aäron auf seiner kleinen ¨flute¨ (irische Flöte aus Metall) noch ein paar Lieder vor, die er in dem Jahr eingeübt hat... Und dann schultert er seinen Rucksack und hebt den Daumen, in der Hoffnung, dass sein Lift erfolgreich werden wird!


Was Aäron uns noch einmal ans Herz legt, ist ein Blick in die finstere Vergangenheit des Landes, auf die er in Letterfrack stieß: Ein kleiner, von Bäumen und Sträuchern versteckter Friedhof, auf dem  etwa 50 Gräber von Kindern und Jugendlichen liegen.  Das Drama, das sich hier abgespielt hat, gehört in die Zeit, in der Allmacht der katholischen Kirche.  Offenbar gab es hier eine Art Internat, in das sogenannte schwer erziehbare Kinder von ihren Eltern gebracht wurden, in der Hoffnung, dass man sie hier ¨ auf den rechten Weg¨ bringen würde. Diese Kinder wurden mißhandelt, sexuell mißbraucht und viele von ihnen starben - wohl an mangelnder Ernährung oder unter den Mißhandlungen - des Pfarrers oder der Lehrer! 
Lange schwiegen die Überlebenden, viele wurden verrückt und nahmen sich das Leben... Aber einige sprachen und man fand immer mehr Skelette, neben denen, die bekannt waren.  Offiziell waren sie an einem Fieber gestorben.
Dieser Ort birgt so viel Schrecken, meinte Aäron, man könne die Angst und die Verzweiflung dieser Kinder förmlich spüren.  Er stand lange weinend zwischen ihren Gräbern.
Ja, wir werden auch diesen Ort, nach dem wir - das erinnerten wir - vor Jahren schon einmal gesucht haben, besuchen.

Das Wetter hat sich - wie vorhergesagt - gebesssrt und die Sonne scheint häufig und wärmt und trocknet und tut einfach sehr gut.  Endlich können wir unsere Gartenaktivitäten fortsetzen und wieder an die Strände gehen!   Wir haben es sehr vermißt!

18. September

Die Heizung ist defekt und es ist ziemlich kalt im Haus!  Ich sitze noch im Sunroom, der Abend senkt sich mit zartem Pastellhimmel über den See, den Bog und die Berge. Hier ist die Sonne noch gespeichert, aber bald werde ich frieren und vor den Kamin umziehen, der das Wohnzimmer schon erwärmt. Ja, Pech!  Es ist Wochenende und Joe wird nicht vor Montag kommen können. Also müssen wir uns selbst helfen - und zum Glück ist das Wetter trocken und die Sonne kommt immer wieder hervor und über den sich schnell erwärmenden Sunroom wird auch zumindest die Küche mit gewärmt. Immerhin haben wir Strom und Heizdecken in den Betten.. It could be worse!

So, nun habe ich aber den Faden zu Mick Flannery verloren - und eigentlich wollte ich schon gestern von dem Konzert erzählen... Wir erleben doch eine ganze Menge in diesen "ruhigen Tagen" muß ich sagen :)

Wenn wir dachten, mit den beiden anderen Konzerten in diesem Jahr Mick Flannery ¨zu kennen¨, dann wurden wir gestern eines anderen belehrt!  Es war ein Solokonzert und es war sicherlich das beste der Konzerte bisher! 
Natürlich sind wir wieder viel zu früh da :)  Wir müssen uns auch bei den Konzerten daran gewöhnen, dass die Menschen hier in Irland durch nichts - nicht einmal durch Mick Flannery - aus ihrer Ruhe zu bringen sind.  Angekündigt war das Konzert übrigens - vielleicht auch dies eher irisch auf dem Ticket für 21 Uhr, im Programm des Festivals für 19.30  und im Internet um 20.00!
Wir waren also um 20.30 am ¨Theater¨ und niemand außer uns da.  Man riet uns, noch einen Spaziergang zu machen oder im nahgelegenen Hotel etwas zu trinken.. Und auch um 20.45, als wir zurückkommen, ist der Saal noch so gut wie leer!  Allein die Tatsache, dass die tickets doch ziemlich genau -namentlich in einer Liste - kontrolliert werden läßt vermuten, dass das Konzert ausgebucht sein könnte..  Es dauert dann noch bis 21.30 bis der erste gig beginnt und Mick Flannery kommt um 22.15 endlich auf die Bühne! 
Angekündigt von den vor ihm singenden Interpreten Casey Black aus den USA als ¨rain cload¨ (Regenwolke) entpuppte er sich - zumindest menschlich als überaus gut gelaunt, gesprächig und von einem trockenen, herrlichen Humor!  Seine Lieder bekommen im alleinigen Vortrag eine noch größere Tiefe und zum ersten Mal kann ich fast alle Texte verstehen.  Nichts lenkt ab von ihm, von seiner Stimme, vom Spiel der Gitarre oder des Klaviers.  Wir sind begeistert und mit uns das Publikum... Gut, wieder in der ersten Reihe zu sitzen! 

Es wird viel gelacht, kommentiert -von ihm, von einzelnen Zuhörern, man kennt sich, man kennt Mick Flannerys Ruf, als  Sänger, der introvertiert und scheu ist. Heute ist davon keine Rede und seine Spielfreude und Begeisterung springen über!
Als er über Berlin zu erzählen beginnt, reiße ich die Arme hoch.  Er schaut, er fragt: ¨Are you from Berlin?¨ - ¨ Yes!¨ - ¨Which part are you from? - ¨Köpenick¨ - ¨ I lived in Kreuzberg¨ - ¨ I know¨ -  und dann erzählt er über seine Eindrücke aus diesem Stadtteil, der so widersprüchlich ist. Er erzählt von der Gentrifizierung, der Verdrängung der Menschen, die immer dort gelebt haben, er erzählt von den Drogen und der Kriminalität - Kriezberg war Inspiration für seine vielleicht beste CD ¨By the rule¨ - melancholisch, tiefsinnig und engagiert! Besonders beeindruckt haben ihn die ¨Hipster¨  und nun beginnt ein Spiel zwischen ihm und Publikum zu diesem Thema: ¨Can you emagine a hipster in Clifden¨ - und es wird gelacht und laut ¨No¨  gerufen und es geht weiter und ich kann dem Faden irgendwann nicht mehr folgen!
Dann geht es um den Tourismus in Irland - die vielen Busse .. Und um seine Heimatstadt Blarney. Er fragt, ob jemand den ¨Blarny Stone¨ schon einmal geküsst habe - und Hans-Jürgen meldet sich.. Und Mick Flannery fragt noch einmal zurück: ¨ You kissed the stone?¨ und zu mir: ¨ You also kissed this stone¨ und ich verneine vehement!  Dann kommt die Geschichte aus seiner Kindheit, dass schon damals die Touristenmassen, die in Blarney einfallen um das Schloß zu besichtigen und den Stein zu küssen,  die Kinder zu einem Streich veranlassten, nämlich, auf diesen Stein zu pinkeln und sich diebisch darüber zu freuen, dass die nächste sich hier durch diese Lücke quälen und hoch über dem Abgrund diesen Stein küssen würden... Und er geht weiter und fragt, ob niemand jemals einen Touristen ¨ in die Irre¨ geführt habe. ¨ They ask you for a special building and they stand in its shadow and you send them to the left or right¨.... Und alle lachen.. Es ist eine fröhliche, fast familiäre Stimmung. Einfach toll. Dazwischen seine Songs, seine unvergleichliche Stimme - seine Intensität!  Was für ein Abend!  Nein, von ¨Regenwolke¨ ist heute nichts zu spüren. Man wird mitgerissen und ist bester Laune. 
Störend ist alleine die Undiszipiniertheit der Gäste:  es ist ein ständiges Kommen und Gehen... Die Tür auf, die Tür zu  - manche Gesichter kennt man schon - sie gehen 4 -5 X rein und raus, mit einem Glas, einem aufleuchtenden Handy -  vielleicht zu einer Zigarettenpause.  Es nervt nicht nur uns - es nervt natürlich den Sänger und er kanne sich ab und an einen Kommentar nicht verkneifen!
Dann noch ein Duett der beiden Sänger und die Unterschiedlichkeit des ¨Amerikaners¨, selbstsicher und vielleicht einen Schuß zu überheblich und des ¨Iren¨, zurückhaltend, bescheiden, sehr viel sympathischer in meinen Augen!

Es regnet, als wir das Theater verlassen und unser vor der Tür geparktes Auto führt noch einmal vor Augen, woher wir kommen:  Hans-Jürgen geht zielstrebig auf die (deutsche) Fahrerseite und öffnet die Tür und ich stehe auf der anderen.... Lachend fragt eine Frau: ¨you must be Tourists¨  - ¨ Yes, we are those from Berlin¨!!!!  Herrlich!

Wir entschließen uns, den Abend bei ¨Lowries¨ zu beenden, denn auch dort wird Musik gemacht. Auf anderen Niveau aber zum Mitsingen:  ¨Dirty old town¨ - für alle!  Ein Stephan hat Geburtstag und ihm wird ein Ständchen gesungen, die junge, füllige Frau vor uns am Tresen ist ziemlich betrunken und tanzt dazu!  Das ist irisches Publeben - mit Touristen!
Es ist 1 Uhr, als wir uns auf den Weg zurück machen - und wir sind sicher, dass wir wunderbar schlafen werden, wenn auch heute die Heizdecken kalt geblieben sind!

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